1
Dez
2008

Rudolf Hagelstange

Rudolf-Hagelstange

Wir nennen es Winter

Wir nennen es Winter. Und meinen damit:
Atemholen des Lebens und über Verwesung
kühles Leinen des Schnees. Ostwind ums Haus,
Scheite im Ofen, im Kreis einer Lampe
Nüsse und Wein. Die Mette, den Christbaum.
Freude, aufs Eis geschrieben, Spuren im Schnee.
Und immer der Wechsel vom Kalten ins Warme.
Später die Feste mit Masken und tanzenden Paaren.
Föhn in den Adern. Und Krokus in schneenassen
Fäusten des jungen Frühlings.

19
Okt
2008

Sándor Petőfi

Petoefi

Helden in Lumpen

Auch ich könnt meine Verse kleiden
in schöne Reime, strenge Form,
geschniegelt nach der Etikette,
die in Salons der Noblen Norm.

Doch meine Lieder sind nicht Gecken,
die albern auf Empfänge gehn
mit Handschuhn, parfümierten Locken,
begierig nur nach Weibern sehn.

Zwar nicht mit Schwertern und Kanonen,
die lange schon der Rost befiel,
wird heut gekämpft, nein: mit Ideen.
Doch ist auch das kein Kinderspiel.

In diesen Schlachten des Jahrhunderts
bin als Soldat ich eingereiht,
und meine Lieder sind getreue
Vorkämpfer in dem harten Streit.

Arm sehn sie aus, zerfranst, zerschlissen,
doch groß ist ihre Tapferkeit,
und Heldenmut ehrt den Soldaten
mehr als ein goldbetreßtes Kleid.

Ob sie mich überleben werden,
die Sorge quält mich heute nicht.
Sie mögen ohne Ruhm vergehen,
erfüllten sie nur ihre Pflicht.

Ein Buch, das meine schlichten Lieder
bewahrt, ehrwürdig wird es sein
wie Gräber namenloser Helden,
die für die Freiheit standen ein.

(Übersetzung: Martin Remané

1
Okt
2008

Richard Dehmel

Hans_Baluschek_Bildnis_Richard_Dehmel

Chinesisches Trinklied
Nach Li-Tai-Pe

Der Herr Wirt hier - Kinder, der Wirt hat Wein!
Aber laßt noch, stille noch, schenkt nicht ein:
ich muß euch mein Lied vom Kummer erst singen!
Wenn der Kummer kommt, wenn die Saiten klagen,
wenn die graue Stunde beginnt zu schlagen,
wo mein Mund sein Lied und sein Lachen vergißt,
dann weiß Keiner, wie mir ums Herz dann ist,
dann wolln wir die Kannen schwingen -
die Stunde der Verzweiflung naht.

Herr Wirt, dein Keller voll Wein ist dein,
meine lange Laute, die ist mein,
ich weiß zwei lustige Dinge:
zwei Dinge, die sich gut vertragen:
Wein trinken und die Laute schlagen!
Eine Kanne Wein zu ihrer Zeit
ist mehr wert als die Ewigkeit
und tausend Silberlinge!-
Die Stunde der Verzweiflung naht.

Und wenn der Himmel auch ewig steht
und die Erde noch lange nicht untergeht:
wie lange, du, wirst Du's machen?
du mitsamt deinem Silber-und Goldklingklange?
Kaum hundert Jahre! Das ist schon lange!
Ja, leben und dann mal sterben, wißt,
ist Alles, was uns sicher ist;
Mensch, ist es nicht zum Lachen?!-
Die Stunde der Verzweiflung naht.

Seht ihr ihn? Seht doch, da sitzt er und weint!
Seht ihr den Affen? Da hockt er und greint
im Tamarindenhain, hört ihr ihn plärren?
über den Gräbern, ganz alleine,
den armen Affen im Mondenscheine? -
Und jetzt, Herr Wirt, die Kanne zum Spund!
jetzt ist es Zeit, sie bis zum Grund
auf einen Zug zu leeren -
die Stunde der Verzweiflung naht.

(Hans Baluschek, Bildnis Richard Dehmel)

Joachim Ringelnatz

ringelnatz

Mein Bruder

Mein Bruder löst immer Probleme.
Mein Bruder verfolgt ein Ziel.
Mich nennt er eine bequeme
Schlawinernatur ohne Stil.

Mein Bruder wohnt - Ehrensache -
Und sagt, er habe Niveau.
Doch wenn ich darüber lache,
Beschimpft er mich: ich sei roh.

Mein Bruder muß Rechnung tragen
Und spricht gern über Kultur.
Mich hat er einmal geschlagen,
Weil mir dabei was entfuhr.

Mein Bruder haut mich sehr häufig.
Er nennt das dann "aus Prinzip".
Solche Worte sind ihm geläufig.
Ich habe ihn deshalb so lieb.

Ich würde ihn auch gern mal hauen.
Doch er ist leider sehr stark.
Nur wenn er Glück hat bei Frauen,
Dann schenkt er mir immer zwei Mark.

Ich bin zwar ein saudummes Luder,
Meine beiden Beine sind schief.
Im übrigen ist mein Bruder
Gar nicht verwandt, sondern stief.

Doch wenn ich "gestiefelter Kater"
Ihn nenne, dann schäumt er wie Most
Und schreibt Beschwerden an Vater,
Und die trage ich dann zur Post.

Ich trage ihm alle Pakete,
Die größer sind, als er denkt.
Jetzt hat er meine Trompete
Hinter meinem Rücken verschenkt.

Ein Bischof hat einen braunen
Frack meinem Bruder verehrt.
Sie würden überhaupt staunen,
Mit wem mein Bruder verkehrt.

Dagegen lebe ich - meint er -
Ganz stur wie ein Vieh in den Tag.
Manchmal, wo Damen sind, weint er;
So einer stirbt mal am Schlag.

27
Sep
2008

Alfred Lichtenstein

lichtenstein

Die Stadt

Ein weißer Vogel ist der große Himmel.
Hart unter ihn geduckt stiert eine Stadt.
Die Häuser sind halbtote alte Leute.

Griesgrämig glotzt ein dünner Droschkenschimmel.
Und Winde, magre Hunde, rennen matt.
An scharfen Ecken quietschen ihre Häute.

In einer Straße stöhnt ein Irrer: Du, ach, du -
Wenn ich dich endlich, o Geliebte, fände...
Ein Haufen um ihn staunt und grinst voll Spott.

Drei kleine Menschen spielen Blindekuh -
Auf alles legt die grauen Puderhände
Der Nachmittag, ein sanft verweinter Gott.

26
Sep
2008

Klabund

klabund

Obdachlosenasyl

Ich war'n junges Ding, man immer frisch und flink.
Da kam von Borsig einer, der hatte Zaster und Grips.
So hübsch wie er war keiner mit seinem roten Schlips.
Er kaufte mir 'nen neuen Hut.
Wer weiß, wie Liebe tut.
Berlin, wie süß ist dein Paradies!
Unsere Vaterstadt schneidige Mädchen hat.
Schwamm drüber.
Tralalalá.

Ich immer mit'n mit. Da ging der Kerl verschütt.
Als ich im achten schwanger des Nacht bei Wind und Sturm,
schleppt' ich nich auf'n Anger, vergrub das arme Wurm.
Es schrie mein Herz, es brannte mein Blut.
Wer weiß, wie Liebe tut.
Berlin, wie süß ist dein Paradies!
Unsere Vaterstadt schneidige Mädchen hat.
Schwamm drüber.
Tralalalá.

Jetzt schieb' ich auf'n Strich. Ich hab' 'nen Ludewich.
In einem grünen Wagen des Nachts um halber zwee,
da ham' se mich jefahren in die Charité.
Verwest mein Herz, verfault mein Blut.
Wer weiß, wie Liebe tut.
Berlin, wie süß ist dein Paradies!
Unsere Vaterstadt schneidige Mädchen hat.
Schwamm drüber.
Tralalalá.

Krank bin ich allemal. Es ist mir allens ejal.
Der Weinstock, der trägt Reben, und kommt 'n junger Mann,
ich schenk' ihm was fürs Leben, daß er an mich denken kann.
Quecksilber und Absud,
wer weiß, wie Liebe tut.
Berlin, wie süß ist dein Paradies!
Unsere Vaterstadt schneidige Mädchen hat.
Schwamm drüber.
Tralalalá.

24
Sep
2008

Else Lasker-Schüler

lasker-schueler-floete

Die Verscheuchte

Es ist der Tag im Nebel völlig eingehüllt,
Entseelt begegnen alle Welten sich -
Kaum hingezeichnet wie auf einem Schattenbild.

Wie lange war kein Herz zu meinem mild . . .
Die Welt erkaltete, der Mensch verblich.
- Komm bete mit mir - denn Gott tröstet mich.

Wo weilt der Odem, der aus meinem Leben wich?
Ich streife heimatlos zusammen mit dem Wild
Durch bleiche Zeiten träumend - ja ich liebte dich . . . . .

Wo soll ich hin, wenn kalt der Nordsturm brüllt?
Die scheuen Tiere aus der Landschaft wagen sich
Und ich vor deine Tür, ein Bündel Wegerich.

Bald haben Tränen alle Himmel weggespült,
An deren Kelchen Dichter ihren Durst gestillt -
Auch du und ich.

21
Sep
2008

Robert Burns

burns

The Deil's Awa Wi' The Exciseman

The deil cam fiddlin' thro' the town,
And danc'd awa wi' th' Exciseman,
And ilka wife cries, "Auld Mahoun,
I wish you luck o' the prize, man."

The deil's awa, the deil's awa,
The deil's awa wi' the Exciseman,
He's danc'd awa, he's danc'd awa,
He's danc'd awa wi' the Exciseman.

We'll mak our maut, and we'll brew our drink,
We'll laugh, sing, and rejoice, man,
And mony braw thanks to the meikle black deil,
That danc'd awa wi' th' Exciseman.

There's threesome reels, there's foursome reels,
There's hornpipes and strathspeys, man,
But the ae best dance ere came to the land
Was-the deil's awa wi' the Exciseman.

The deil's awa, the deil's awa,
The deil's awa wi' the Exciseman,
He's danc'd awa, he's danc'd awa,
He's danc'd awa wi' the Exciseman.

***

Der Teufel ist fort und der Steuer-Sergeant

Der Teufel kam pfeifend durch die Stadt,
Tanzt’ fort mit dem Steuer-Sergeanten,
Die alten Weiber schrieen wie toll:
„Nun hat er ’nen alten Bekannten!“

Der Teufel ist fort, der Teufel ist fort,
Der Teufel ist fort und der Steuer-Sergeant;
Er tanzte fort, er tanzte fort,
Er tanzte fort mit dem Steuer-Sergeant.

Nun brennen wir Malz, und brauen Bier
Und jubeln mit unser’n Bekannten;
Und Mancher dankt es dem Satanas schier,
Daß er fort mit dem Steuer-Sergeanten.

Nun tanzen wir Hornpipe’s und Strathspey’s auch,
An allen Stadt-Ecken und Kanten,
Doch den besten Tanz, den je wir sah’n,
Tanzt’ der Teufel mit dem Steuer-Sergeanten.

Der Teufel ist fort, der Teufel ist fort,
Der Teufel ist fort und der Steuer-Sergeant;
Er tanzte fort, er tanzte fort,
Er tanzte fort mit dem Steuer-Sergeant.

(Übersetzung: Adolf Wilhelm Ernst von Winterfeld)

19
Sep
2008

Gottfried Benjamin Hancke

luetzenkirchen-pfeife

Sonett auf den Knaster-Toback

Du unvergleichlicher und lobenswerter Knaster,
Erlaube, daß mein Kiel an deine Kraft gedenkt.
Du bist das süße Kraut, das uns der Himmel schenkt.
Macht man gleich deinen Dampf zu einem großen Laster,
So stopf ich doch getrost der Pfeifen Alabaster,
Und wenn der Sorgen Last mein müdes Herze kränkt,
So rauch ich, bis der Dampf mich in den Schlaf versenkt,
Und also bleibest du mein sichres Heilungspflaster.
Dein bald verschwundner Dampf zeigt mir das Nichts der Welt.
Dein Kraut stammt ebenfalls, wie ich, aus schlechter Erde,
Und wenn die Pfeife mir aus meiner Hand entfällt,
So denk ich, daß ich auch vielleicht bald sterben werde.
Zuletzte, wenn ich nun mein Pfeifchen ausgefüllt,
So zeigt die Asche mir mein eignes Ebenbild.

(Bild: Eva Lützenkirchen, Der alte Pfeifenraucher)
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